Borodin Quartett
Hideyo Harada
Konzept und Hintergrund

Das Borodin-Quartett trägt einen in der Musikwelt nach 1945 berühmten und damit auch verpflichtenden Namen. Wie bei allen »alten« Ensembles fordert er Verantwortung und ist zugleich Ansporn, über alle personellen Wechsel hinweg (es waren im Laufe der Jahrzehnte nicht wenige) die Authentizität und Erkennbarkeit des Gruppenklanges zu wahren und dabei dennoch offen für Veränderungen zu bleiben. Das deutsche Repertoire des 19. Jahrhunderts spielte dabei von Anfang an eine gewichtige Rolle, und an Johannes Brahms‘ a-Moll-Streichquartett kann man nachvollziehen, worin sich die Besonderheit in der Erschließung dieses Repertoires durch die vier Streicher ausdrückt. Es ist zuerst die Stimmigkeit des Atmosphärischen, die ins Ohr geht; sie stellt alle vier Sätze unter die Aura einer intim-elegischen, tief melancholischen Schmerzlichkeit, die aber gleichzeitig dank des üppig aufblühenden, plastisch ausgeformten Ensembleklangs eine Steigerung ins Sinfonische erfährt. Das bezieht auch den für solch eine innere Einheit oft etwas problematischen Finalsatz ein, der vordergründig aller Grübelei abzusagen scheint – was von den »Borodins« unter anderem dadurch konterkariert wird, dass sie seine widerhakenden Betonungskazente mit ungewöhnlicher Heftigkeit, quasi mit zusammengebissenen Zähnen, artikulieren. Die flotte Coda am Werkschluss wirkt dann sogar geradezu ephemer; man spürt die nicht ganz aufgegangene Selbstüberzeugungsarbeit des Komponisten.

Den notwendigen inneren Halt bekommt dieses Psychogramm einer leidvoll an ihren Grenzen rüttelnden Introvertiertheit vor allem durch die enorme konstruktive Meisterschaft Brahms‘, seine Fähigkeit, aus ganz wenigen motivischen Keimen und einem kaum überblickbaren Geflecht von Ableitungen, Aufspaltungen und Kombinationen ein Wunderwerk innerer Verdichtung zu schaffen, in dem alle Stimmen gleichberechtigt mitwirken und es keinerlei leere Füllmasse mehr gibt. In der russischen Musikwelt mit ihren meist weniger artistisch auskalkulierten als unmittelbar emotionalen Ansätzen freilich begegnete man solchen subtilen architektonisch-kontrapunktischen Verfeinerungen oft mit einem gewissen Misstrauen. Tschaikowski etwa konnte mit Brahms nicht viel anfangen, der ihm zu verkünstelt und artifiziell erschien – umso mehr dafür mit Robert Schumann, zu dessen prägendem Einfluss er sich ausdrücklich bekannte; der novellistisch-erzählerische Charakter von dessen Werken, ihre Verträumtheiten, Exzentrizitäten und raschen Bilderwechsel kamen seiner Auffassung, was Musik sein und bewirken sollte, eher entgegen.

Und während das Borodin-Quartett Brahms gegenüber Tschaikowski gleichsam rehabilitiert, indem es dessen konstruktive Meisterschaft einer geradezu traumwandlerisch fließenden Organik unterwirft, kann man in der Interpretation des mitreißenden Schumannschen Es-Dur-Klavierquintetts gemeinsam mit der Pianistin Hideyo Harada dessen Affinität zur aufbrechenden slawischen Musikkultur des 19. Jahrhunderts, aus der seine besondere Wertschätzung unter vielen Musikern des Zarenreiches resultierte, bestens nachvollziehen. Passagen wie das zweite Trio des Scherzos, in dem sich paradoxer Weise eine Art »rustikaler Empfindsamkeit« zeigt, oder das zärtlich-melancholische, süß-schmerzliche Erinnerungen beschwörende Schwelgen der Streicherkantilenen in den Dur-Teilen des trauermarschartigen langsamen Satzes wirken geradezu als Tschaikowski-Vorgriffe.

Intensive Spiellust hält dabei, von den »Borodins« saftig-intensiv ausgespielt, die Balance zur philosophischen Vertiefung: so erscheint der Trauermarsch nicht pathetisch-feierlich, sondern eher zurückgenommen und traurig bedrückt; das schwungvolle Finale wiederum muss nicht gleich zur Menschheitsbefreiung antreten, sondern trägt als eine Art Vorklang auf die spätere »Rheinische Sinfonie« einen frischen, weltoffenen Volksfestcharakter. Hideyo Harada kann sich dabei, feinfühlig korrespondierend, den Vorgaben ihrer Streicherkollegen gleichermaßen elastisch anschmiegen wie ihnen ein tragendes Fundament bieten und dort, wo es Schumann verlangt, auch die Führung übernehmen: flexibel-aufmerksames Ensemblespiel hoher Qualität.

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Verfügbare Programme

Programm 1

Johannes Brahms
Streichquartett op. 51/2

Robert Schumann
Klavierquintett op. 44

Programm 2

Ludwig van Beethoven
Streichquartett op. 132

Johannes Brahms
Klavierquintett op. 34

Programm 3

Franz Schubert
Streichquartett D 810 »Der Tod und das Mädchen«
Klavierquintett D 667 »Forellenquintett«

Programm 4

Peter Tschaikowski
Streichquartett op. 11

Alexander Borodin
Streichquartett Nr. 2

Dmitri Schostakowitsch
Klavierquintett op. 57

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Borodin Quartett

Das Borodin Quartett wurde 1945 von vier Studenten des Moskauer Konservatoriums als Moskauer Philharmonisches Quartett gegründet; zehn Jahre später wurde es in Borodin Quartett umbenannt. Es ist damit eines der traditionsreichsten Streichquartette. Ruben Aharonian und Igor Naidin wurden 1996 Mitglied des Ensembles, Vladimir Balshin kam 2007 dazu und zuletzt Sergey Lomovsky in 2011. Valentin Berlinsky, das letzte Gründungsmitglied, verließ das Quartett 2007.

Ergänzend zur Tätigkeit als Streichquartett arbeiten alle Mitglieder des Borodin Quartett regelmäßig mit herausragenden Musikern zusammen, um das weitere kammermusikalische Repertoire zu erkunden. Unter ihren Kammermusikpartnern befinden sich Yuri Bashmet, Elisabeth Leonskaja, Oleg Maisenberg und Christoph Eschenbach. Das Quartett gibt zudem ständig Meisterklassen und Kurse.

Anlässlich des 60. Jubiläums 2005 führte das Borodin Quartett alle Beethoven-Quartette im Concertgebouw Amsterdam und im Wiener Musikverein auf. Galakonzerte in Moskau, London und im Théâtre des Champs-Elysées Paris würdigten die Verdienste des Quartetts für die Musikgeschichte der vergangenen Jahrzehnte. Das Ensemble war mit Werken von Mozart, Schubert, Brahms, Tschaikowski, Strawinski, Schostakowitsch und natürlich Borodin in Madrid, Rotterdam, Brüssel, Genf, München, Lissabon, Barcelona, Athen, Köln, Istanbul, Zürich, Berlin und New York zu hören.

Das Borodin Quartett hat über die Jahrzehnte ein reiches Erbe musikalischer Aufnahmen angesammelt. Tschaikowskis Quartette sowie sein „Souvenir de Florence“, Schuberts Streichquintett, Haydns „Die Sieben Letzten Worte des Erlösers am Kreuze“ und eine Einspielung russischer Miniaturen erregten Aufsehen. Die Tschaikowski-Aufnahme wurde 1994 mit dem Gramophone Award ausgezeichnet. Seine besondere Affinität zum russischen Repertoire verdankt das Ensemble der früheren, langjährigen Zusammenarbeit mit Schostakowitsch, der die Einstudierung aller seiner Quartette persönlich beaufsichtigte.

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Hideyo Harada

»Ob glühende Emotion oder traumverlorene Poesie, ob sanft oder wild: Harada lässt sich von der Musik mitreißen, vom zarten Akkord bis zur Raserei schöpft sie alle Gefühlsregungen klanglich aus«, so die Süddeutsche Zeitung über die japanische Pianistin. Mit ihrem breitgefächerten Repertoire ist sie heute ein gern gesehener Gast bei internationalen Festivals und konzertiert mit bedeutenden Orchestern.

Haradas Vielseitigkeit spiegelt sich ebenfalls in ihrer umfangreichen Diskografie, die neben Werken von Samuel Feinberg und Michio Mamiya ebenso Kompositionen von Schubert, Chopin, Schumann, Grieg und Skrjabin umfasst. Die englische Musikzeitschrift Gramophone nahm ihre Einspielung mit Werken von Tschaikowski und Rachmaninow in die Rubrik Gramophone recommends auf und attestierte: »Two great Russian piano masterpieces in a subtle and soulful recording. Hideyo Harada offers a reading that thrills.« Neben einem über mehrere Spielzeiten angelegten Schubert-Zyklus, den sie gemeinsam mit namhaften Partnern in Tokio realisierte, nimmt auch die Pflege zeitgenössischer Musik einen wichtigen Stellenwert im Schaffen der Pianistin ein.

Hideyo Harada studierte zunächst in Tokio, bevor sie ihre Ausbildung in Stuttgart, Wien und Moskau fortsetzte. Die Künstlerin wurde bei zahlreichen Wettbewerben preisgekrönt und gewann u. a. den Concours International d’Exécution Musicale in Genf sowie den 1. Preis beim Internationalen Schubert-Wettbewerb in Dortmund. Darüber hinaus war sie Preisträgerin beim Internationalen Rachmaninow-Wettbewerb in Moskau. Seitdem gastierte sie u. a. beim Schleswig-Holstein Musik Festival, den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern, dem MDR-Musiksommer, dem Beethovenfest Bonn, dem Rheingau Musik Festival, dem Heidelberger Frühling, dem Mozartfest Würzburg, den Ludwigsburger Schlossfestspielen, dem Musikfest Stuttgart, dem Yokohama International Piano Festival und dem Grand Piano Festival in Amsterdam. Wichtige Stationen ihrer Karriere waren das Moskauer Tschaikowski-Konservatorium, der Wiener Musikverein, das Berliner Konzerthaus, das Gewandhaus Leipzig, die Alte Oper Frankfurt, die Stuttgarter Liederhalle, die Genfer Victoria Hall, das Prager Rudolfinum oder die Suntory Hall Tokio. Hideyo Harada konzertierte mit zahlreichen Orchestern, so etwa mit dem Orchestre de la Suisse Romande, dem Orchestra Sinfonica Nazionale della RAI, dem Stuttgarter Kammerorchester, dem Orchestre de Cannes, der Filarmonica George Enescu Bukarest, dem National Polish Radio Symphony Orchestra, dem Russian State Symphony Orchestra, dem Seoul Philharmonic Orchestra, dem NHK Symphony Orchestra, dem Yomiuri Nippon Symphony Orchestra oder dem New Japan Philharmonic Orchestra. Zu ihren Partnern am Pult zählten dabei Dirigenten wie Petr Altrichter, Christian Arming, Piero Bellugi, Pietari Inkinen, Cristian Mandeal, Tadaaki Otaka, Vladimir Valek oder Marcello Viotti.

Im Rahmen von Kammermusikabenden arbeitet Hideyo Harada u. a. mit dem Borodin Quartett, den Geigern Latica Honda-Rosenberg und Mikhail Simonyan, dem Cellisten Jens Peter Maintz und dem Bariton Roman Trekel. Neben Aufnahmen bei internationalen Rundfunk- und Fernsehanstalten liegen mehrere mit Preisen bedachte Einspielungen der Pianistin vor.

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Websites der Künstler
Foto Borodin Quartett: © Simon Van Boxtel • Foto Hideyo Harada: © Uwe Arens
Foto Borodin Quartett und Hideyo Harada: © N. Ikegami