„Das ist mein Gesang, der sein musste“
Eine Wort-Musik-Collage zu Antanas Škėma
Konzept und Hintergrund

2017 erschien beim Guggolz-Verlag ein Roman, der die deutsche Literaturkritik begeisterte: Großartig und erschütternd sei das Buch, es fange den brausenden Geist Manhattans ebenso ein, wie es litauische Landschaften plastisch werden lasse; sein Stil sei experimentell und avanciert, zugleich aber poetisch und eindringlich. Die Rede ist von Das weiße Leintuch, geschrieben 1952 bis 1954 in New York, wo der litauische Schriftsteller Antanas Škėma im Exil lebte. Das Buch handelt vom Zerbrechen einer Dreiecksbeziehung und von den Erinnerungen eines Lift-Boys in einem New Yorker Hotel. Sie beschwören die Kindheit in einem verlorenen Land: Litauen. Der Ich-Erzähler heißt Antanas, wie der Autor; es ist seine Geschichte.

Antanas Škėma wurde 1910 im polnischen Łódż als Sohn eines litauischen Lehrers und einer Polin geboren. Seine Kindheit verbrachte er in steter Flucht vor Krieg und Bürgerkrieg im russischen Woronesch und in der Ukraine, bis die Familie 1921 ins gerade unabhängig gewordene Litauen zog. Die Beziehung der Eltern war problematisch. Škėma erzählt von psychischer Gewalt und Eifersucht, bis zur Einweisung der Mutter in die Psychiatrie. Škėma selbst studierte in Kaunas Medizin und Jura, schloss sich als Schauspieler verschiedenen Theatertruppen an und nahm 1941 am bewaffneten Aufstand der Litauer gegen die sowjetische Besatzung teil. Drei Jahre später floh er nach Deutschland, kam ins Internierungslager und ging nach dem Krieg nach Amerika. In Chicago starb er 1961 bei einem Autounfall.

Mit seiner Lyrik, seinen Kurzerzählungen, seinem einzigen Roman Das weiße Leintuch wurde Škėma zur Gründungsfigur der literarischen Moderne Litauens im Exil. Vytautas Kubilius schreibt in seinem Buch Literatur in Freiheit und Unfreiheit – Die Geschichte der litauischen Literatur von der Staatsgründung bis zur Gegenwart über ihn, dass Škėma die konservative Verschlossenheit der Exilliteratur ebenso abgelehnt habe, wie die politische und moralische Didaktisierung und die Überhöhung des Dorfes zur einzigen Lebensquelle der Nation. „Er polemisierte gegen die Pose des Schriftstellers als Retter der Nation und gegen die romantischen Mythen und Sinnbilder der Vergangenheit. [...] Die richtige Literatur ist nach Škėma keine ‘beruhigende Medizin’ – sie versucht, ‘den Menschen in seiner ganzen Nacktheit zu entblößen’, das ‘tödlich atmende Leiden’ darzustellen und das Verstehen des Nichtseins auszudrücken“.

Claudia Sinnig, die Škėmas Buch erstmals ins Deutsche übersetzt hat, lernte zu Beginn ihres Studiums in Vilnius im Herbst 1989 Corinna Snyder, die Enkelin des Schriftstellers kennen. Beide sind seitdem befreundet. So konnten Corinna Harfouch und Hideyo Harada auch aus familiären Erinnerungen schöpfen bei der Rekonstruktion der musikalischen Vorlieben von Antanas Škėma: Er mochte Chopin und Brahms ebenso wie Čiurlionis, Bartók und Strawinsky. All dies fließt ein in dieses Porträt eines Künstlers, den der ebenfalls aus Litauen stammende amerikanische Experimentalfilmer Jonas Mekas als Vertreter einer „Generation ohne Ornamente“ bezeichnete.

Corinna Harfouch über „Das weiße Leintuch“ von Antanas Škėma

Dieses Buch lese ich und habe dabei immer einen leisen Schmerz im Herzen. Die Schönheit der Sprache, die Art der Schilderung dieses Lebens, die tiefe Wahrheit, die mich so sehr vertrauen lässt, dass es möglich ist, die kompliziertesten und unvereinbarsten Dinge unseres Lebens auszudrücken.

In diesem Buch verbirgt sich eine der schönsten und schmerzlichsten Liebesgeschichten, die ich kenne, umringt von einem Universum an Geschichten, Geschichte, splitterhaften Eindrücken: assoziatives Mäandern, Biographie erzählt, wie der Mensch imstande ist, sein eigenes Leben zu erfahren, den Zweifel und das Düstere am helllichten Tag, die Erinnerungen, die einen ungefragt heimsuchen. Geschrieben in einer Sprache, die fähig ist, zu sezieren und doch die hinter dem Schnitt hervorquellenden Bilder im Zaum zu halten.

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Corinna Harfouch

Corinna Harfouch zählt zu den bekanntesten deutschen Charakterdarstellerinnen in Film, Fernsehen und Theater. Nachhaltig und überzeugend verkörpert sie die Extreme der menschlichen Existenz. Ihre Darstellung gerät immer wieder auch zur Gratwanderung zwischen den Abgründen des Lebens.

Die in Suhl geborene Schauspielerin absolvierte ihr Studium an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin. Seit ihrer Ausbildung war sie auf allen wichtigen Bühnen zu sehen, u. a. spielte sie 2003 an der Berliner Schaubühne am Lehniner Platz die Titelrolle in Phaidras Liebe von Sarah Kane (Regie: Christina Paulhofer), 2004/05 in der Regie von Jürgen Gosch am Deutschen Theater die Martha in Edward Albees Wer hat Angst vor Virginia Woolf? an der Seite von Ulrich Matthes (Einladung zum Berliner Theatertreffen und zu den Wiener Festwochen), 2010 am Staatstheater Stuttgart die Hauptrolle in Der Schmerz nach Marguerite Duras, 2013 am Schauspielhaus Zürich in Friedrich Dürrenmatts Die Physiker und 2015 am Schauspielhaus Hannover in Heiner Müllers Der Auftrag.

Weitere Gastspiele führten Corinna Harfouch u. a. auch zu den Salzburger Festspielen und ans Wiener Burgtheater. Am Deutschen Theater Berlin spielte sie die Hauptrollen in Im Schlitten Arthur Schopenhauers und Ihre Version des Spiels von Yasmina Reza. In jüngerer Zeit war und ist sie am Deutschen Theater Berlin in Phädra (Regie: Stephan Kimmig), Die Möwe (Regie: Jürgen Gosch), Persona und Birthday Candles (Regie: Anna Bergmann), am Staatstheater Hannover in Orlando und Annette. Ein Heldinnenepos (Regie: Lily Sykes) sowie am Gorki Theater in Berlin in Queen Lear (Regie: Christian Weise) zu sehen. Ihre besondere Vorliebe gilt der Rezitation, wofür ihr Lesetheater steht, eine eigene Matinee-Reihe im Deutschen Theater Berlin.

Seit ihrem Debüt vor der Filmkamera hat sie in mehr als 100 Film- und Kinoproduktionen mitgewirkt. Zu ihren bedeutendsten Filmen zählen Das Versprechen (1995) von Margarethe von Trotta, Sexy Sadie (1996) von Matthias Glasner, Das Mambospiel (1996) von Michael Gwisdek, Irren ist männlich (1996) von Sherry Hormann, Gefährliche Freundin (1996) von Hermine Huntgeburth, Knockin’ on Heaven’s Door (1997) von Thomas Jahn, Der große Bagarozy (1999) von Bernd Eichinger, Fandango (2000) von Matthias Glasner, Vera Brühne (2001) von Hark Bohm, Bibi Blocksberg (2002) von Hermine Huntgeburth, Blond: Eva Blond! (2002) und Der Untergang (2004) von Oliver Hirschbiegel, Durch diese Nacht sehe ich keinen einzigen Stern (2005) von Dagmar Knöpfel, Whisky mit Wodka (2008) von Andreas Dresen, Im Winter ein Jahr (2008) von Caroline Link, This is Love (2009) von Matthias Glasner, Giulias Verschwinden (2010) von Christoph Schaub, Finsterworld (2013) von Frauke Finsterwalder, Der Fall Bruckner (2014) von Urs Egger, Viel zu nah (2017) von Petra K. Wagner, Wer hat eigentlich die Liebe erfunden? (2018) von Kerstin Polte, Lara (2019) von Jan-Ole Gerster, Kranke Geschäfte (2019) von Urs Egger, Ruhe! Hier stirbt Lothar (2021) von Hermine Huntgeburth und Immer der Nase nach (2021) von Kerstin Polte. Aktuelle Filme sind Das Mädchen mit den goldenen Händen (2022) von Katharina Marie Schubert und Alles in bester Ordnung (2022) von Natja Brunckhorst.

Für ihre Theaterarbeit wurde Corinna Harfouch mehrfach ausgezeichnet. Sie erhielt u. a. 1997 den Gertrud-Eysoldt-Ring für herausragende schauspielerische Leistungen und wurde im selben Jahr für ihre Rolle des General Harras in Des Teufels General (Regie: Frank Castorf) von der Zeitschrift Theater heute zur Schauspielerin des Jahres gekürt. Auch für ihre Filmarbeiten wurde Corinna Harfouch mit vielen Preisen geehrt, u. a. mit dem Bayerischen Filmpreis, Adolf-Grimme-Preis, Deutschen Fernsehpreis, Deutschen Filmpreis, Deutschen Schauspielerpreis, Günter-Rohrbach-Preis und Hessischen Filmpreis.

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Hideyo Harada

»Ob glühende Emotion oder traumverlorene Poesie, ob sanft oder wild: Harada lässt sich von der Musik mitreißen, vom zarten Akkord bis zur Raserei schöpft sie alle Gefühlsregungen klanglich aus«, so die Süddeutsche Zeitung über die japanische Pianistin. Mit ihrem breitgefächerten Repertoire ist sie heute ein gern gesehener Gast bei internationalen Festivals und konzertiert mit bedeutenden Orchestern.

Haradas Vielseitigkeit spiegelt sich ebenfalls in ihrer umfangreichen Diskografie, die neben Werken von Samuel Feinberg und Michio Mamiya ebenso Kompositionen von Schubert, Chopin, Schumann, Grieg und Skrjabin umfasst. Die englische Musikzeitschrift Gramophone nahm ihre Einspielung mit Werken von Tschaikowski und Rachmaninow in die Rubrik Gramophone recommends auf und attestierte: »Two great Russian piano masterpieces in a subtle and soulful recording. Hideyo Harada offers a reading that thrills.« Neben einem über mehrere Spielzeiten angelegten Schubert-Zyklus, den sie gemeinsam mit namhaften Partnern in Tokio realisierte, nimmt auch die Pflege zeitgenössischer Musik einen wichtigen Stellenwert im Schaffen der Pianistin ein.

Hideyo Harada studierte zunächst in Tokio, bevor sie ihre Ausbildung in Stuttgart, Wien und Moskau fortsetzte. Die Künstlerin wurde bei zahlreichen Wettbewerben preisgekrönt und gewann u. a. den Concours International d’Exécution Musicale in Genf sowie den 1. Preis beim Internationalen Schubert-Wettbewerb in Dortmund. Darüber hinaus war sie Preisträgerin beim Internationalen Rachmaninow-Wettbewerb in Moskau. Seitdem gastierte sie u. a. beim Schleswig-Holstein Musik Festival, den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern, dem MDR-Musiksommer, dem Beethovenfest Bonn, dem Rheingau Musik Festival, dem Heidelberger Frühling, dem Mozartfest Würzburg, den Ludwigsburger Schlossfestspielen, dem Musikfest Stuttgart, dem Yokohama International Piano Festival und dem Grand Piano Festival in Amsterdam. Wichtige Stationen ihrer Karriere waren das Moskauer Tschaikowski-Konservatorium, der Wiener Musikverein, das Berliner Konzerthaus, das Gewandhaus Leipzig, die Alte Oper Frankfurt, die Stuttgarter Liederhalle, die Genfer Victoria Hall, das Prager Rudolfinum oder die Suntory Hall Tokio. Hideyo Harada konzertierte mit zahlreichen Orchestern, so etwa mit dem Orchestre de la Suisse Romande, dem Orchestra Sinfonica Nazionale della RAI, dem Stuttgarter Kammerorchester, dem Orchestre de Cannes, der Filarmonica George Enescu Bukarest, dem National Polish Radio Symphony Orchestra, dem Russian State Symphony Orchestra, dem Seoul Philharmonic Orchestra, dem NHK Symphony Orchestra, dem Yomiuri Nippon Symphony Orchestra oder dem New Japan Philharmonic Orchestra. Zu ihren Partnern am Pult zählten dabei Dirigenten wie Petr Altrichter, Christian Arming, Piero Bellugi, Pietari Inkinen, Cristian Mandeal, Tadaaki Otaka, Vladimir Valek oder Marcello Viotti.

Im Rahmen von Kammermusikabenden arbeitet Hideyo Harada u. a. mit dem Borodin Quartett, den Geigern Latica Honda-Rosenberg und Mikhail Simonyan, dem Cellisten Jens Peter Maintz und dem Bariton Roman Trekel. Neben Aufnahmen bei internationalen Rundfunk- und Fernsehanstalten liegen mehrere mit Preisen bedachte Einspielungen der Pianistin vor.

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